GESS in Lissabon
Vom 17. bis 21. Juli fand in Lissabon die 7. Konferenz der European Survey Research Association (ESRA) statt.
Der 2008 gegründete Verbund ESRA hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Umfrageforschung in Europa zu vernetzen und zu koordinieren. Mithilfe regelmäßig organisierter Konferenzen und der Veröffentlichung der Zeitschrift ‘Survey Research Methods’ soll der Austausch zwischen und die Zusammenarbeit von Meinungsforschern aller Disziplinen des akademischen, politischen sowie wirtschaftlichen Bereichs in Europa und weltweit verbessert und gefördert werden. Ziel dessen ist, die Methodenqualität der europäischen Umfrageforschung zu verbessern und dessen Anwendungsbereiche auszuweiten.
Die diesjährige Konferenz der ESRA hat GESS als Hauptsponsor gefördert. Unsere Geschäftsführer Knut Holzscheck und Uwe Stüve waren in Portugals schöner Hauptstadt vor Ort, unterstützt wurden sie von Franziska Struck.
In den Räumen der Universität Lissabon und weiterer Institutionen für Sozialwissenschaften, Wirtschaft und Management fanden an den Konferenztage Workshops zu methodischen und konzeptuellen, praktischen und aktuellen Themen der Umfrageforschung statt. So ging es beispielsweise um experimentelle Forschungsdesigns, das Fragebogen-Design für transkulturelle Studien, den Einbezug von Big Data in die Sozialwissenschaften und Methoden zur Analyse sozialer Netzwerke.
Auch wenn es sich um eine überwiegend akademische Veranstaltung handelte, waren ebenso Vertreter der Marktforschung anwesend und in Vorträgen aktiv, unter anderem unsere Kunden von der innofact AG und der infas Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH. Es war sehr erfreulich zu sehen, dass ein reger Austausch und Dialog zwischen den Sozialwissenschaften und der Marktforschung stattfindet.
Der Fokus der meisten Veranstaltungen und Workshops war dabei ein methodischer. Sehr interessant war eine Vortragsreihe über “Mixed Modes and mode effects”. Hier wurde die Erkenntnis geteilt, dass das Face-to-Face-Interview das Mittel der Wahl für Befragungen ist. Steht dieses nicht (exklusiv) zur Verfügung, führt ein Methodenmix zu den besten Ergebnissen, weil dieser die verschiedenen Selektivitäten unterschiedlicher Erhebungsmethoden auszugleichen vermag. Dies zeigt das Potenzial von bspw. Onlinebefragungen auf, die im Zuge einer Kombination von Befragungsmethoden einen anerkennbaren Beitrag zu validen und reliablen Studienergebnissen leisten können. Ebenso informativ war ein Vortrag von Prof. Dr. Annelies Blom (Universität Mannheim) über den Vergleich zwischen Non-Probability und Probability-Samples sowie den Vorteil der letztgenannten.
Eine zu beobachtende Tendenz in der Markt- und Sozialforschung liegt — so ein weiterer Konsens beteiligter Konferenzteilnehmer — in der vermehrten Durchführung von Befragungen auf Smartphones. In diesem Zuge wurde die Darstellung von Grid-Fragen problematisiert. Ein mögliches Fazit bestand schließlich darin, diesen ohnehin schwierigen (weil Befragungsteilnehmer-unfreundlichen) Fragetypen zukünftig nicht mehr bzw. weniger inflationär zu verwenden.
Die wenigen Vorträge, die inhaltliche Themen behandelten, handelten dafür von umso spannenderen Forschungsinhalten. Herausgestochen haben für uns die beiden folgenden: Dr. Stacey Giroux und Dr. Tom Evans (Indiana University) referierten über “Evaluating SMS-Based Survey in an African Context”. In ihrer Arbeit über die Wahrnehmung der Witterung von Landwirten in Tansania untersuchten sie ökonomische und agrarwissenschaftliche Aspekte im Kontext der Klimaveränderungen mithilfe eines SMS-gestützten Befragungssystems. In dem Vortrag von Miss Sally Widdop und Sara Grant-Vest (beide Ipsos MORI), Peter Edopu (Tango Consult) und Dr. Nata Duvvury (National University of Ireland, Galway) ging es um “Conducting survey research in South Sudan: challenges and solutions”. In den Ausführen über ihre Paper/Pencil-Befragung zum Thema “Gewalt gegen Frauen im Süd-Sudan” haben sie spannende Einblicke in ihre Forschungsarbeit unter (teilweise lebens-)gefährlichen Umständen gegeben.
Persönlich erfreulich war die Begegnung mit Gary Langer (Langer Research). Der ehemalige Leiter der Meinungsforschungsabteilung bei ABC News hat im Ausstellungsfoyer der Sponsoren einen außer-regulären Vortrag über die Präsidentenwahl 2016 in den USA und “how and why it´s President Trump” gehalten. In diesen Ausführungen und persönlichen Gesprächen haben wir viel Aufschlussreiches und Spannendes über den medialen Umgang mit dem US-amerikanischen Wahlkampf, die Wahrnehmung dessen seitens der Bevölkerung sowie Hintergründe der Wahlergebnisse des letzten Jahres erfahren.
Wir blicken auf eine interessante und heiße Woche in einer wunderschönen verträumten Stadt zurück. Genossen haben wir die kleinen Gassen und urigen Lokale, die Cable Cars, die trotz engem Achsstand ihr Gleichgewicht halten, und die frische Brise vom Atlantik.