Ein virtueller Regaltest inkl. Beobachtung des Shopperverhaltens während der Entscheidung
Mit GESS Q. geht ein Versprechen einher, das für uns von besonders großer Bedeutung ist: Unabhängig davon, wie komplex das Studiendesign auch sein mag, es soll ermöglicht werden. Die skriptbasierte Natur erlaubt ein hohes Maß an Flexibilität, womit auch Befragungsideen abseits des gängigen Standards umsetzbar sind.
Bereits seit Jahren befasst sich die Gruppe Nymphenburg mit dem Thema, die Konsumenten und Shopper von morgen besser zu verstehen. Volker Dobler, Director Shopper Research der Gruppe Nymphenburg, zeigt im Rahmen dieses Gastbeitrags auf, wie sie am Beispiel von GESS Q. selbst komplexe virtuelle Regaltests umsetzen und darüber äußerst interessante Einblicke in das Kaufverhalten erlangen.
Gastbeitrag: Volker Dobler, Director Shopper Research der Gruppe Nymphenburg
Hintergrund und wichtige Insights
Die Gruppe Nymphenburg Consult AG ist seit 50 Jahren als Beratungsexperte für Brand & Retail bekannt und geschätzt. Neben Limbic®, dem einzigartigen Modell zur Markenpositionierung und Zielgruppensegmentierung, konzentriert sich die Gruppe Nymphenburg auf die Entschlüsselung der Kaufentscheidung. Hiervon profitieren Handels- und Herstellerkunden, was der Gruppe Nymphenburg viele Erfolge und Auszeichnungen beschert hat.
In den vergangenen Jahren hat sich allerdings eine Verschiebung des täglichen Projektgeschäfts ergeben. Auch schon vor der Pandemie war die Anzahl an kostspieligen, mehrstufigen und umfangreichen Shopper-Projekten seltener als noch vor 5 oder 10 Jahren. Alternative Erhebungsmethoden, immer schwierigere Abstimmungsrunden zwischen Handel und Industrie sowie ein höherer Zeitdruck von allen Seiten waren auch bei Shopper-Projekten immer stärker entscheidungsrelevant.
Schon frühzeitig hat die Gruppe Nymphenburg deshalb auch die Virtualisierung der Erhebungsmethoden vorangetrieben und bereits vor Jahren virtuelle Regaltests durchgeführt. Allerdings waren die Darstellung der Produkte im Regal, die technischen Eigenschaften des Regals sowie die erhobenen Daten, nur bei speziellen Fragestellungen eine sinnvolle Alternative zu einem Interview inkl. Verhaltensbeobachtung am Regal in einem Geschäft.
Vor allem die folgenden Eigenschaften eines Interviews am echten Regal fehlten im bisherigen virtuellen Regal:
- Es war nicht möglich, sich ein Produkt von allen Seiten anzusehen. Viele Verpackungen und Produkte werden vor dem Kauf im Geschäft aus dem Regal entnommen und Texte oder Bilder auf der Rückseite betrachtet, weil gerade diese Informationen für eine Kaufentscheidung relevant sind.
- Es war optisch nicht möglich, dem Shopper ein realitätsnahes Einkaufserlebnis zu bieten, bei dem Produkte, die aus dem Regal entnommen werden, auch optisch (sofort) entfernt werden bzw. bei einem Zurücklegen auch wieder erscheinen.
- Es war bisher nicht möglich, den Einkauf auf eine vorgegebene Anzahl von Produkten oder eine vorgegebene Budgetgrenze festzulegen. Durch die virtuelle Darstellung des Regals passiert es immer mal wieder, dass Teilnehmer an einer Befragung das System bewusst austesten, um möglichst viele Produkte zu kaufen. Da der Kauf nur simuliert werden kann (der Teilnehmer gibt kein echtes Geld aus), können solche Ausreiser nur schwer identifiziert werden. Eine realistische Vorgabe eines Budgets bzw. der maximalen Anzahl an Produkten kann dem entgegenwirken.
Das Wichtigste, was bisher jedoch gefehlt hat, war eine ganzheitliche Betrachtung der Kaufentscheidung – wichtige Kennziffern, die bei einem (echten) Kauf im Geschäft bei einer Beobachtung erfasst werden, konnten mit dem virtuellen Regal bisher überhaupt nicht berücksichtigt werden. Diese Kennziffern sind z. B.
- mit welchen Produkten beschäftigt sich der Käufer während der Entscheidung intensiver? (bisher war es nur möglich, die schlussendlich ‚gekauften‘ Produkte zu erfassen)
- in welcher Reihenfolge werden die Produkte (intensiver) betrachtet? Ist das erste Produkt, das man betrachtet, auch das am Ende gekaufte Produkt? Wie viele Produkte sind im relevanten Set eines Käufers (werden für die Entscheidung länger beachtet)?
- werden einmal in den Einkaufswagen gelegte Produkte auch wieder entfernt (weil man z.B. ein besseres Produkt gefunden hat)?
- wird die Kaufentscheidung nach Betrachten der Vorderseite oder der Rückseite getroffen? Welche Verpackungsseite hat die stärkere Entscheidungskraft?
Das neue virtuelle Regal kann diese Verhaltenskennziffern und noch einige mehr jetzt auch außerhalb des Geschäfts erfassen und eröffnet damit die Möglichkeiten, dem Kaufprozess auch virtuell noch intensiver auf die Spur zu kommen.
Hier ein erster Eindruck, wie ein solches Regal aussehen kann (Klick aufs Bild zeigt eine vergrößerte Ansicht):
Abbildung 1: das neue virtuelle Regal der Gruppe Nymphenburg Consult AG
Technische Umsetzung
Wir arbeiten schon seit etlichen Jahren sehr erfolgreich mit den Softwareprodukten von GESS. Neben GESS Q., zur Datenerhebung, setzen wir auch GESStabs zur Datenauswertung ein. Seit einigen Monaten ergänzt ChartFactory den internen Prozess, die Abläufe weiter zu optimieren und vor allem bei regelmäßigen Studien (Trackings) den Schwerpunkt auf die zu gewinnenden Insights und weniger auf die technische Bearbeitung der Zahlen zu legen.
GESS Q. ist eine außerordentlich flexible Lösung für uns Marktforscher, die neben den Standardfragetypen (Single, Multi, Grids, nummerische Eingaben oder offenen Fragen), dem Programmierer einen hohen Freiheitsgrad bei der optischen Umsetzung dieser Fragen bietet. Mit Hilfe von HTML, CSS und JavaScript lassen sich (mehr oder weniger aufwendig) hochkomplexe Darstellungen auf Basis dieser Standardfragetypen realisieren.
Die bisherigen virtuellen Regale der Gruppe Nymphenburg basierten alle auf dem Standardfragetyp ‚Single‘ (wenn nur ein Produkt ausgewählt werden konnte) bzw. ‚Multi‘ (wenn mehrere Produkte ‚gekauft‘ werden durften). Allerdings war schnell klar, dass das neue virtuelle Regal mit diesen beiden Typen nicht realisierbar ist – wenn der Einkauf mehrerer Packungen eines Produktes möglich sein soll, muss das neue Regal auf einem anderen Frage Typ aufbauen. Die Lösung fiel auf eine NumQ (eine nummerische Eingabe), da die Alternative, eine Grid-Frage, eine unnötige Begrenzung bei der Anzahl der einzukaufenden Produkte vorgegeben hätte (durch die Vorgabe der Labels durch den Programmierer). Die Flexibilität der NumQ ist im Gegensatz zu einer Grid-Frage in diesem Fall unschlagbar. Deshalb speichert die NumQ für jedes Produkt im Regal die Anzahl der Verpackungen, die durch den Kunden gekauft werden.
Aber nicht nur die technische Seite der Datenerfassung stand beim neuen Regal im Fokus, auch der Wunsch, eine möglichst hohe Flexibilität bei der Darstellung zu erreichen. Hier war es uns wichtig, sämtliche Varianten eines normalen Regals relativ einfach umsetzen zu können, seien es unterschiedliche Facings je Regalboden oder auch über mehrere Regelböden hinweg. Jedes vorgegebene Planogramm sollte in dem Regal realisiert werden können.
Abbildung 1 zeigt wichtige neue Möglichkeiten dieses Regals:
- Jedes Produkt kann über mehrere Facings im Regal platziert werden.
- Wichtig zu erwähnen ist auch, dass die Breite des Regals nicht von der Bildschirmbreite des Monitors abhängt. In dem obigen Screenshot sieht man am unteren Rand, dass der Kunde sich in der Mitte des Regals befindet – er jeweils noch nach rechts bzw. links scrollen / gehen kann, um sich den Rest des Regals anzusehen.
Produkte, bei denen auch die Rückseite durch Umdrehen möglich ist, haben oben links das Symbol . Klickt man auf dieses Symbol, dreht sich das entsprechende Produkt um und man kann die Rückseite betrachten (siehe rot markierte Pfeile — klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern):
Abbildung 2: Schaltfläche zum Umdrehen der Produkte
Damit man die Informationen auf der Vorderseite oder auf der Rückseite noch detaillierter betrachten bzw. lesen kann, ist auch ein MouseOver-Effekt realisierbar (hier am Beispiel ‚Der General‘). Dieser MouseOver-Effekt berücksichtigt natürlich, ob das Produkt in dem Moment umgedreht war (Rückseite sichtbar) oder von der Vorderseite zu sehen ist.
Abbildung 3: Ansicht der Rückseite
Der USP des neuen virtuellen Regals ist jedoch, dass nicht nur die optischen Darstellungen das Kauferlebnis und damit die Kaufentscheidung des Kunden so realistisch wie möglich machen, sondern es werden auch zusätzliche Verhaltens-Informationen des Käufers während seines Einkaufens erhoben. Dies umfasst das intensivere Betrachten einzelner Produkte (vergleichbar mit dem „Herausnehmen, ohne zu kaufen“ im Geschäft), das Drehen von Produkten (wird die Information auf der Rückseite gelesen/benötigt) oder auch das Hinzufügen bzw. Herausnehmen von Produkten aus dem (virtuellen) Warenkorb.
Die Ausgabe dieses Verhaltens kann so aussehen:
Teilnehmer Datum & Uhrzeit Verhalten Befr05 30.3.2021 17:45:30 showLargeImage;1 Befr05 30.3.2021 17:45:51 hideLargeImage;1 Befr05 30.3.2021 17:46:01 reverse;2;front2back Befr05 30.3.2021 17:46:04 reverse;1;front2back Befr05 30.3.2021 17:46:08 showLargeImage;1 Befr05 30.3.2021 17:46:51 hideLargeImage;1 Befr05 30.3.2021 17:47:30 inBasket;2
Hier sieht man einen Ausschnitt des Teilnehmers „Befr05“. Das Interview fand am 30. März 2021 um 17:45 Uhr statt. Zunächst hat die Befragungsperson das Produkt Nr 1 für 21 Sekunden intensiver angesehen (in dem Fall nur die Vorderseite) und dann die Produkte 1 und 2 umgedreht, um deren Rückseiten zu betrachten. Die Rückseite von Produkt 1 wurde dann fast eine Minute intensiv gelesen, letztlich aber doch Produkt 2 ausgewählt und in den Einkaufswagen gelegt.
Beim bisherigen virtuellen Regal hätten wir nur gesehen, dass der Teilnehmer sich für Produkt 2 entschieden hat, aber nicht was vorher passiert ist. Die Information, dass Produkt 1 sehr intensiv betrachtet worden ist, der Kunde sich aber final doch gegen dieses Produkt entschieden hat, war bisher Online nie erhoben worden. Mit dem neuen Regal lassen sich nun aber spannende zusätzliche Erkenntnisse über das Kaufverhalten von Kunden gewinnen.
Zusammenfassung
Das neue virtuelle Regal bietet verschiedene neue Eigenschaften und Möglichkeiten – von einer detaillierten Beobachtung des Kundenverhaltens vor der Entscheidung bis zu einer flexiblen Darstellung der Produkte oder dem einfachen Handling beim Betrachten der Informationen auf Vorder- bzw. Rückseite. Damit können wir nicht nur die Kaufentscheidung realistischer erheben, sondern auch das bisher dem stationären Handel vorbehaltene Verknüpfen von Shopper-Beobachtungen und ‑Befragungen am Regal anbieten.
Wenn die neuen Möglichkeiten Ihr Interesse geweckt haben und Sie weitere Informationen zum neuen virtuellen Regal benötigen, freue ich mich über Ihre Kontaktaufnahme.
Meine Kontaktdaten sind:
Volker Dobler
Director Shopper Research
E‑Mail: v.dobler@nymphenburg.de